Zum Anlagensee – fast ein trauriger Abgesang


Den Tübinger Anlagenpark mit großem See hat man über Jahre absichtlich verlottern
lassen, um einen Eventpark, daraus zu machen. Vorrangiges Ziel ist der Flächengewinn um Beton-Bauten, eine Tiefgarage für ca.80 Autos und 1000 Fahrräder, Schnellradwege mit überdimensionalem Brückenbau und Rondell, sowie Vorarbeiten zur Innenstadt zerschneidenden Schienenbahn zu ermöglichen.
Diesen stadtplanerischen Zielen wird der Naturschutz in Tübingen total untergeordnet. Um die Bürger für diese Vorhaben positiv einzustimmen, hat man als Projektleiterin Frau Dr. Korth gewonnen. Nun zeigt sich : Es stimmt halt sehr vieles nicht, was Frau Dr. Korth uns blumig schönreden will. Dazu Fakten zu den wichtigsten Problemen.

  1. Seeverkleinerung (geplant)
    Je größer ein See, umso größer seine Wärmekapazität, also umso besser
    seine Klimapufferwirkung bei heißen Sommern und kalten Wintern. Somit, je
    mehr innerstädtisches Wasser, umso besser das Stadtklima.
  2. Wasserqualität des Sees
    Der mit sehr klarem Wasser, seit über 100 Jahren, munter in den See
    fließenden Mühlbach wird zu 100% von der Steinlach gespeist. Deren
    Wasserqualität wird durch die Kläranlage Dußlingen kurz vor dem
    Mühlbachabzweig beeinflusst. Trägt die Kläranlage weiterhin unzulässig viel
    Phosphat ein, so landet dieses im See. Also ist eine zusätzliche Reinigungsstufe (wie von der EU gefordert) nötig. Damit gibt es auch bei wenig Zufluss keine Seeentrophierung, kein “Umkippen“ des Sees, was noch nie seit >100 Jahren geschehen ist.
  3. Schlamm und Sediment im See
    Der Mühlbach trägt keinen Schlamm ein, sein Bachbett zeigt im gesamten
    Verlauf Sand (komplette Fotodokumentation vom Nov. 2020, liegt vor). Sollte der Minimaleintrag an Feinsand und Laub nach einigen Jahrzehnten doch Probleme geben, Ausbaggern ist dann die einfachste Lösung. Dies machen alle Städte so, wie Stuttgart sehr erfolgreich mit dem Möhringer Riedsee kürzlich zeigte (Anlage). Übrigens: auch verkleinerte Seen bekommen den Eintrag ab.
  4. Fließgeschwindigkeit
    An dem Abzweigebauwerk des Mühlbachs von der Steinlach sind bereits Baumaßnahmen zu einer besseren Hochwassersperre mit Geröllrückhalt geplant. Ebenso wird wohl der Lauf durch das Derendinger Zentrum beim Rathaus etwas naturnaher gestaltet werden. In dem Zusammenhang kann generell an einigen Stellen, der schon sehr gute Bachfluss weiter optimiert werden. Speziell vor und nach der B28 und Bahnunterquerung kann z.B. durch ein Natursteinbett eine zusätzliche Sauerstoff-Anreicherung erfolgen.
    Alles was Frau Korth anführt zur “Reinigung des Zuflusses“, “Verdunstungs-Verbesserung zur Abkühlung“, “Bepflanzung mit hoher Biodiversität“, “günstigere Durchströmung durch Verkleinerung und Verschmälerung“ sind leere Schlagworte. Diese werden von ihr selbst im gleichen Abschnitt mit dem Satz: “Daneben wollen wir, das haben wir auch früh deutlich gemacht, Flächen gewinnen“. Eine klare Aussage für Eventflächen statt naturnaher Erholungspark mit großem See.
  5. Bäume
    Die bereits erfolgten, unverantwortlichen Eingriffe in den sehr alten Baumbestand sind nie wieder durch Neupflanzungen reparierbar. Die geplante “robuste“ Bepflanzung der befestigten Flächen benötigt laut Frau Korth eine automatische Baumbewässerung. Warum? Der Grundwasserstand wird durch die massive Bebauung am versiegelten Europaplatz und im Park mit Straßen und Eventflächen erheblich dezimiert. Auch sogenannter Flüssigboden wirkt wie Zement.
    Wer auch nur einen der über 100 Jahre alten Bäume fällen lässt, der vernichtet ein wertvolles Biotop, das durch robuste Nachpflanzung nicht ersetzbar ist. Frau Korth behauptet dagegen, es wird eine Sicherung des wertvollen Baumbestands mit hoher Aufenthaltsqualität des Parks geben.
    Solche Äußerungen und die erschreckende Realität zeigen auf, dass jegliche Achtung und tieferes Verständnis für die Zusammenhänge in der Natur fehlen.
    Statt alte Bäume verrotten zu lassen, werden sie wegen angeblicher Sicherungspflicht (!) gefällt. Wer wurde je von einem morschen Baum erschlagen? Man könnte wenigstens hohe Stümpfe stehen lassen. Morsche, alte, hohle Weidenbäume gab es früher zu Dutzenden entlang des Mühlbachs und dem See, voll mit pulsierender Insekten- und Vögelwelt. Kinder sind begeistert, ohne Schaden, darin rumgeklettert. Heute turnen sie auf künstlichen langweiligen Apparaten ohne Naturbezug.
  6. Fische im See
    Der See ist seit Jahren vom Fischereiverein ein gern genutztes fischreiches Gewässer und keine stinkende Kloake, wie es die Beschreibung von Frau Korth suggeriert. Immer noch fehlen die angekündigten Schlussberichte für das gewässerökologische Gutachten. Keinesfalls ist der Fischereiverein mit einer Seeverkleinerung einverstanden, noch mit flacheren Ufern, Eventstufen und gar Stegen (von denen Bierflaschen nächtlicher Partygänger in den See fliegen).
  7. Artenschutz
    Ein artenschutzrechtliches Gutachten existiert. Eine sehr gute detaillierte Kartierung der Tier- und Pflanzenwelt zeigt rings um den Anlagensee vor Aufnahme der naturzerstörenden Baumaßnahmen ein überwältigend schönes Biotop mit geschützten Tierarten. Eine Biotop-Vernetzung des Anlagenparks mit dem grünen Band Mühlbach, mit den Saiben-Grünzonen, der Platanenallee mit Neckarinsel und entlang eines besser renaturierten Neckars wäre eine echte grüne Tat. Leider ist der grün(?) regierte Gemeinderat für solche Vorhaben nicht zu gewinnen. Die bereits vorgenommenen, nicht im Detail mit der Bürgerschaft diskutierten, schwerwiegenden Baumaßnahmen ohne Rücksicht auf Naturschutzbelange lassen die ausschweifenden Versprechen von Frau Dr. Korth als höchst unglaubwürdig erscheinen.

Tatsache ist, dass im Anlagenpark vor allem mit einer Seeverkleinerung, Seezugängen, Radschnellwegen, Radbrücke mit Rondell, ja sogar einer PKW-Zusatzstrasse, der wertvolle Biotop-Charakter des Parks unwiederbringlich zerstört würde. Der dokumentierte Reichtum an geschützten Tierarten (Insekten wie Juchtenkäfer, viele seltene Fledermaus – und Vogelarten) werden für immer verschwinden. Dies geschieht in Tübingen zu einer Zeit, wo wahrhaft grüne Politik mehr denn je gefragt ist, wo innerstädtische Grün-Zonenvernetzung nachhaltige Verbesserungen der Lebensqualität unserer Stadt bringen würden.


Professor Günther Jung

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